Freitag, 17. Mai 2013

Bulgarian Elections – ein Resume


Bulgarien ist ein Land voller Gegensätze. Sofia ist die grünste europäische Hauptstadt die ich kenne, keine einzige Strasse ohne Bäume oder Sträucher. Am Wochenende treffen sich die Studenten im Stadtzentrum um gemeinsam zu trinken, zu diskutieren & zu feiern.

Die Versorgung mit offenen WLAN-Netzen ist unglaublich. Jede kleine Dorftankstelle beitet dieses Service. In den größeren Städten gibt es wenige Plätze, an denen nicht zumindestens eine schlechte freie Internetverbindung besteht. Auch in Überlandbussen war twittern kein Problem.

Gleichzeitig liegt der durchschnittliche Monatslohn bis ca. 320$, nahezu jede fünfte Familie lebt an der Armutsgrenze, und immer mehr junge Menschen verlassen das Land weil sie in Bulgarien keine Perspektive mehr für sich sehen.

Diese Gegensätze ließen sich auch bei der Wahl beobachten. Vorneweg: Massiv organisierten Wahlbetrug konnte ich keinen beobachten. Aber viele „Kleinigkeiten“, die sich summieren.

So waren mehrere Wahlurnen schlecht versiegelt,  Musterstimmzettel vorausgefüllt, Wählerlisten schlecht geführt und nach undurchschaubaren Kriterien Personen hinzugefügt, Wahlkarten gar nicht oder falsch ausgestellt, ...

Das größte Problem war meiner Meinung nach aber die fehlende Organisation.

Die Auszählungen waren langwierig, oft wussten die lokalen Wahlkommissionen gar nicht, wann Stimmen gültig sind und wann nicht. Meine Anfragen nach einer kurzen Erklärung, wie denn sie Auszählung von Statten gehen werden, blieben – von unfreundlichen Tönen begleitet – unbeantwortet. Mehrere meiner Hinweise, dass Stimmen gleichwertig ungültig gewertet werden müssen, wenn zb das Kreuz nicht korrekt gemacht wurde, blieben unbeachtet.

Auch das Ausfüllen der Wahlprotokolle erwies sich als nicht so einfach, vor allem wenn man keine Ahnung hat, wie das auszufüllen ist. Generell schien es kein Problem, Wahlprotokolle mit Bleistift zu schreiben und bei Bedarf zu adaptieren.



Für knapp 480 Wahlkommissionen standen ganze 3 (!) Personen zur Verfügung, um Wahlzettel, Protokolle und dergleichen zu übernehmen. Dass die Säcke mit den Stimmzetteln unversiegelt mit Bussen aus allen Teilen der Region transportiert wurden, machte das Chaos perfekt. Teilweise mussten vor Ort Säcke geöffnet und teilweise neu gezählt werden - weil Protokolle falsch ausgefüllt worden waren, oder weil Unterschriften fehlten.

Und so zog sich die Auszählung dahin. Montag um 16 Uhr waren immer noch nur 60% aller Stimmen ausgezählt. Ein offizielles Endergebnis lag überhaupt erst Mittwoch gegen zwölf Uhr vor. 

Das Endergebnis

Und genau diese felende Organisation macht Wahlbetrug möglich. Immer wieder wurden Gerüchte des Stimmenkaufes laut – hauptsächlich betroffen daran waren Roma. Um daszu verstehen, muss man sich die Situation der Roma in Bulgarien ansehen. In dem sie ihre Stimme verkaufen, verdienen sie sich also ein bisschen Geld. Der Wahlbetrug der Roma ist also nicht ideologisch motiviert, sondern hauptsächlich finanziellen Nöten geschuldet. Nicht zuletzt werden die Roma in Bulgarien abwertend als „Gipsys“ bezeichnet.

Die Wahlen in Bulgarien haben einen schalen Nachgeschmack. Ja, es gab Wahlbetrug. Der fiel aber, und das ist eine subjektive Meinung der Sachen, die ich beobachtet habe – geringer aus als ich erwartet hab. Naturgemäß wird kein befragter Wähler zugeben, dass er seine Stimme verkauft hat. Jeder befrage Wahlleiter gab auf die Frage "Haben sie heute in Ihrem Wahllokal irgendwelche Probleme bei der Durchführung der Wahl gehabt?" reflexartig mit "Nein!". Erst nach mehrfachen Nachfragen wurde dann von Personen, die nicht (oder auch doppelt) auf der Wahlliste standen berichtet.

Interessiert waren aber auch die Medien, so wurde ich um eine Einschätzung des Wahlverlaufes gebeten. Hier ist das ganze Interview zu sehen. 


  • 14 acts of vote-buying,
  • 56 acts of voter intimidation,
  • 37 acts of electioneering near polling stations
  • and a further 132 reports of severe malfunctioning of the electoral administration.
Eine volle Liste aller Verfehlungen, die TI gesammelt hat, aufgelistet nach Art und Gebiet, gibt es hier.


Sobald meine Protokolle & Notizen aus den einzelnen Wahllokalen ausgewertet sind, können die hier natürlich auch nachgelesen werden.

Sonntag, 12. Mai 2013

Bulgarian Elections - First Results


Die Daten stammen von der Sora-Parallelzählung und sind hier abrufbar.

Ich bin mittlerweile wieder im Hotel, die Auszählung ist etwas strukturierter geworden, trotzdem wird es wohl noch eine Zeit dauern, bis ein offizielles Endergebnis vorliegt.

Erste Reaktionen und weitere Infos bieten unter anderem Reuters, Sofia Globe oder Novinite.

Bulgarian Elections - its getting chaotic

Seit etwa 3 1/2 Stunden haben die Wahllokale geschlossen, die Auszählung ist in vollem Gange. Und sie ist chaotisch. Im Moment bin ich bei der regionalen Wahlkommission, wo alle Stimmzettel und sämtliche Dokumente rund um die Wahl gesammelt werden. Hierzu hat man sich ein System ausgedacht: Stimmzettel in einen weissen Sack, den Rest in einen schwarzen. Da die Kommissionen der einzelnen Wahlsprengel aber relativ wenig Ahnung vom der Auszählung (und vom Ablauf danach) haben, werden oftmals alle Papiere in einen Sack gesteckt und versiegelt. Keiner weiß so genau, was jetzt angenommen wird - nur der weisse Sack mit den Wahlzetteln, der schwarze Sack mit Wahlzetteln, versiegelte oder unversiegelte Säcke - kurzum, hier gehts ziemlich zu,


Abgabe der Stimmzettel bei der regionalen Wahlkommission

Vorher haben wir die Auszählung im Sprengel 138 beobachtet. Der Sprengel, sowie die Nummern 136 & 137 befinden sich in einer Schule in einer Roma-Siedlung, und dort hinzukommen war nahezu ein Abenteuer. Glücklicherweise hatte unser Fahrzeug starke Stoßdämpfer. 

Dort angekommen, erwarteten uns Wahlurnen, die mit schmalem Klebeband (!) versiegelt waren, Muster-Stimmzettel, auf denen bereits eine Partei angekreuzt war, sowie unfreundliche und nicht sehr kommunikative Wahlkommissionen. Die Auszählung verlief inkonsequent, mehrmals wurden Stimmen als gültig gewertet, die es eigentlich nicht sein dürften. Eine Stimme ist nur dann gültig, wenn sie mittels Kugelschreiber mit blauer Mine in einem Kästchen gemacht wird. Ein Hakerl, ein Kreis oder ein Kreuz das über dieses Kasterl hinausragt, entwertet die Stimme.


Es gab heftige Diskussionen, ob Stimmen, bei denen das kreuz nicht diagonal, sondern vertikal/horizontal gemacht wurde, gewertet werden sollen. Letzten Endes wurden einige gewertet, andere nicht. Eine klare Linie war nicht erkennbar.

Man konnte oder wollte und auch nicht sagen, wie viel Personen Ihre Stimme abgegeben hatten - erst im Zuge der eigentlichen Auszählung erfuhren wir dann, wie viele es tatsächlich waren. Das Wahlprozedere war dem Vorsitzenden der Wahlkommission nicht bekannt. Blöderweise führte er die Auszählung nahezu alleine durch. 

Mit Klebeband versiegelte Wahlurne

Auch ist immer wieder von Stimmenkauf die Rede - ich selbst hab davon nichts mitbekommen. Die Meldungen häufen sich aber. 

Bulgarian Elections - ein erster Zwischenbericht

Seit 7 Uhr morgens kann gewählt werden, und seit dieser Zeit sind wir unterwegs und besuchen Wahllokale, sprechen mit Kandidaten, Wahlkommissionen, Wählern, ... Ich bin in Stara Zagora, im Wahlbezirk 27. Bis jetzt haben wir knapp zehn Wahllokale kontrolliert.



Alles in allem verlief die Wahl bis jetzt (was ich gesehen habe) ganz ok. Allerdings gab es mehrere kleinere Ungereimtheiten. So zB im Wahllokal Nummer 9 (siehe obriges Foto), in dem für 978 Wähler nur 950 Stimmzettel bereit lagen. Dafür lagen im Wahllokal Nummer 29 mehr als doppelt so viele Stimmzettel wie Wähler. (399 / 169). Die Wahlbeteiligung ist aktuell nicht sehr hoch, ein großer Andrang wird aber lt der Aussage mehrerer Wahlkommissionen gegen 18 Uhr erwartet.

@Yannick berichtete, dass sie eine unversiegelte Wahlurne fanden.

Die bisher größte mir bekannte Ungereimtheit: Im Wahllokale Nummer 7 wurden 350 markierte Stimmzettel gefunden, die aber danach sofort vernichtet wurden. Auch gibt es immer wieder Gerühte über Stimmenkauf (insbesondere Roma-Familien wird dies nachgesagt, beweisen lässt sich das aktuell aber nicht. In einem Wahllokal, in dem hauptsächlich Roma wählen, konnten wir keine Ungereimtheiten feststellen.

Vor dem Wahllokal Nummer 29 war auch Werbung direkt neben dem Eingang zu Lokal zu sehen:

 


Problematisch war die Situation in einer Psychatrischen Anstalt, die Wahllokal für 233 Patienten war. Aufgrund ihrer Krankheiten ist es für viele Menschen schwer, dort ohne Hilfe zu wählen, 17 Patienten schienen auch nicht im Wählerverzeichnis auf - wurden dann aber nach Rücksprache mit der zuständigen Lokalbehörde dann doch aufgenommen, alle 17 durften wählen. Erklärt wurde das durch einen kurzfristigen Aufenthalt der Patienten in der Klinik.


Samstag, 11. Mai 2013

Bulgarian Elections (2)

Von Sofia ging es am Nachmittag nach Stana Zagora, wo ich morgen mit zwei anderen Teilnehmern der Observing Mission die Wahlen beobachten werde. Wie wichtig das ist, zeigt ein Vorfall, der heute Abend publik wurde: In einer Druckerei, die der Regierungspartei GERB zuzuordnen ist, wurden 350.000 gefälschte Wahlzettel gefunden.

(Reuters) - Bulgaria has seized 350,000 fake ballot papers, prosecutors said on Saturday, a day before a parliamentary election that is likely to deliver no party a majority and more political turmoil in the EU's poorest country. Prosecutors said the ballots were found at a printing house owned by the company of a local councilor from the centre-right GERB whose government resigned from office during protests against low living standards and corruption in February, but which still has a narrow lead in opinion polls. 
"Over 350,000 printed ballots, that were ready for use in the parliamentary elections, were found in stores of a printing house in Kostinbrod," the prosecuting office in the capital, Sofia, said in a statement about Friday's seizure. The interim government, which took over after GERB Prime Minister Boiko Borisov resigned, said it had received all 8.34 million ballots it had ordered and distributed them to polling stations already. 
The owner of the printing shop based near Sofia, councilor Yordan Bonchev, denied any wrongdoing and said it had a license to print ballots, which the government confirmed. 
President Rosen Plevneliev said he expected the Central Election Commission to respond "to ensure the lawful democratic elections, including taking emergency measures if necessary", without giving details. 
GERB called for an immediate halt to "speculation and political persuasion" on a day when campaigning was banned, but the accusation is likely to further dismay a population fed up with corruption, organized crime and low living standards.
Bulgaria struggles to supply running water and reliable electricity to some of its citizens, 2 million of whom have left since the 1989 fall of communism. In rural areas, many villages are run down and populated only by the elderly. 
After a campaign marred by a wiretapping scandal, in which prosecutors said a senior GERB member had allowed ministry employees to commit crimes, and more mud-slinging than debate about policy, coalition talks are expected to be difficult and that may raise questions over governance and economic policy.
 Die Wahl wird desshalb parallel von SORA ausgezählt. Um größtmögliche Transparenz zu wahren, werden die Daten auf www.fairelections-bulgaria.eu online gestellt. Die erste Hochrechnung wird zwischen 19 und 21 Uhr CET erwartet. Ab sieben Uhr haben die Wallokale geöffnet, Wahlschluss ist um 20 Uhr.

Bulgarian Elections

Sofia ist eine wunderbare Stadt, jung, grün und dynamisch. Ein Bier kostet etwa € 1,50, und am Abend versammeln sich die Studenten in der Innenstadt und treffen sich in Parks. Am Sonntag wird in Bulgarien ein neues Parlament gewählt, und deshalb bin ich hier. Ich bin von der BSP nominierter Wahlbeobachter.

Die Ausgangslage ist schnell erzählt:

Die letzten Wahlen im Jahr 2009 gewann der ehemalige Bürgermister von Sofia, Bojko Borissow. Die Wahl wurde immer wieder kritisiert, so kam es zum Beispiel eine ungewöhnlich hohen Anzahl an ungültigen Stimmen - insgesamt 7%. Borissows Partei, die konservative GERB erlangte zwar keine Mehrheit, führte aber eine Minderheitsregierung, die unter anderem von der nationalistischen Ataka gestützt wurde.

Ergebnisse der Parlamentswahlen 2009

Als es im Februar zu massiven Protesten aufgrund hoher Strompreise kam, trat Borissow zurück und rief vorgezogene Neuwahlen aus. Der Standard hat dazu einen guten Artikel online.

Die aktuelle Situation vor den Wahlen.

In den letzten Tagen wurden Details einer Spitzelaffäre publik. Auf einem Tonband ist Borissow zu höhren, wie er mit einem Staatsanwalt über die Niederlegung eines Falles spricht.



Unterlagen für Wahlbeobachter, links das Zertifikat, das Zutritt zu den Wahllokalen gewähren soll.


Gerade eben gab es Briefings über das Bulgarische Wahlrecht, das doch einige interessante Detail beinhaltet: So ist eine Stimme nur dann gültig, wenn sie mittels einem X getätigt wird. Ein Hakerl oder jedes andere Zeichen ist nicht erlaub. Außerdem muss das Kreuz mit einem Kugelschreiber mit blauer Mine gemacht werden. Wen es interessiert, der kann sich dieses Word-Dokument herunterladen, hier ist das Wahlrecht ziemlich genau beschrieben. Ein weiterer nicht uninteressanter Fakt: Teile der Wahlen werden vom SORA-Institut ausgezählt.

Leider konnten wir keine Wahlkundgebung mehr besuchen, die Deadline für Kundgebungen war gestern um Mitternacht. Am Abend haben wir mit ein paar Studenten geplaudert, die allerdings größtenteils unpolitisch waren. Lediglich eine GERB-Sympathisantin schätzte die Wahlbeteiligung bei 60% ein, was ziemlich genau der Wahlbeteiligung 2009 (60, 2%) entspricht.

Ich werde morgen also Wahllokale besuchen, mit den lokalen Wahlkommissionen plaudern und bei der Auszählung dabei sein. Abends gibts dann einen Blogpost dazu, wer interessiert ist kann während der Wahl auf Twitter nachlesen, was gerade passiert: @mayer_michl.