Montag, 28. Januar 2013

Initiative Niederösterreich

Am 3. März wird in Niederösterreich ein neuer Landtag gewählt, und die ÖVP ruft den KüWaZ aus - den kürzesten Wahlkampf aller Zeiten. Start soll nach dem Aschermittwoch sein. Und damit auch jeder weiß, dass die ÖVP das mit dem kurzen Wahlkampf ernst meint, wird die Bevölkerung mit großflächigen Inseraten darauf hingewiesen:


Und auch ein Personenkomitee hat Pröll schon. Das nennt sich Initiative Niederösterreich, und verdient es, mal ein bisschen genauer hinzusehen, wer da aller zur Wiederwahl des Landeshauptmannes aufruft.

Unterstützer sind:

Carl Aigner - Direktor der Landesmuseum Niederösterreich (und somit direkt von Pröll abhängig)

Werner Auer - Obmann des Theaterfest Niederösterreich (vom Land NÖ mit 2,55 Mio € gefördert)

Mag. (FH) Ulrike Bader BBA - Angestellt der Raiffeisen (die Hauptsponsor des Pröll-Komitees ist)

Mag. Alfred Berger - Vorstandsdirekter der NÖM AG (die der Raiffeisen gehört und die ist ja wiederum Hauptsponsor des Komitees)

Nina Blum - Tocher von Wolfgang Schüssel, Intendantin des Märchensommers NÖ (Förderung des Landes: mindestens 50.000 €) und bekannt durch "Sponsoring" der Telekom.

Piero Bordin - Intendant "Art Carnuntum", Fördersumme 2012: € 218.263,59

Mag. Birgit Brandner-Wallner und Mag. Barbara Brandner - Geschäftsführer der Brandner Schifffahrts Gmbh, die gemeinsam mit dem Land Niederösterreich (das auch 49%-Eigentümer dieser Firma ist) die Donau Schiffsstationen GmbH gegründet haben.

Christoph Brunnauer - Sportmanager des SKN und Michael Hatz, Marketingleiter SKN (dessen Sponsoren und Partner zahlreiche landeseigene Firmen sind, und dem Pröll eine Fußballarena bauen ließ)

Ilir Ceka, Johannes Coreth, Helmuth Englmayer, Mag. Bernhard Lackner, Herbert Janschka  - aktive oder ehemalige Mitarbeiter der landeseigenen Niederösterreichischen Versicherung

Johann Deinhofer - Direktor des NÖ Landespflegeheim Waidhofen / Thaya

Michael Drochter - leitender Angestellter des landeseigenen RIZ Niederösterreich

Anton Endsdorfer - Obann Rettungshunde NÖ (Hauptsponsoren Land NÖ, Raika, NÖ Versicherung)

Halil Ersoy, Mag. Brigitte Karner MAS - Angestellte der NÖ Landesakademie

Gottfried Feiertag, Gottfried Grossinger, Ing. Michael Kruger, Hermann Lembachner, Reinhard Koller  - NÖ Landesbedienstete (und somit direkt von Pröll abhängig)

Dr. Johann Feilacher - Direktor des Museum Gugging (im Eigentum des Landes NÖ)

Mag. Eva Fialik-Fritsch - nicht nur Direktorin der HLM Mödling, sondern auch ehemalige Mitarbeiterin der NÖN & des ORF NÖ & Mitglied des Bezirksparteivorstandes der ÖVP Mödling

Maria Forstner - Vorsitzende der Nö Stadt- und Dorferneuerung (Hauptsponsor: eh schon wissen...)

Richard Freudensprung - Geschäftsleiter der Raika (Komitee, Sponsor und so...)

Dr. Thomas Friedrich - Geschäftsführer der EBG MedAustron GmbH, die dem Land NÖ gehört

Wolfgang Frissenbichler - Direktor des NÖ Landespflegeheimes Gutenstein

Gerald Gross - ehemaliger ORF-Moderator, und gern gesehener Moderator von Veranstaltungen des Landes NÖ (siehe hier, hier oder auch hier)

Dr. Robert Griessner - Medizinischer Geschäftsführer der Landeskliniken-Holding 

Dir. Rudolf Grubauer - Vorstand der Raika (Sie wissen schon, Sponsoring...)

Mag. Erwin Hameseder - Vorstand der Raika-Holding NÖ/Wien

DI Mag. Dr. Alexander Hartig - Geschäftsführer der NÖ Forschung + Bildung

RM Franz Höfer - Obmann & Geschäftsführer Erlebnismuseumsverein Schönbach (Sponsor: Land Niederösterreich)

Dr. Burkhard Hofer - Aufsichtsrat Flughafen Schwechat, EVN & Hypo NÖ-Gruppe

Dipl-Ing. Kurt Holler - Vorstandsmitglied der Alpenland Wohnbaugenossenschaft (CEO: Altlandeshauptmann Ludwig, im Aufsichtsrat: Lukas Mandl, VP-LAbg)

Mag. (FH) Peter Hruschka, Prim. Univ.Prof. Dr. Peter Lechner, M.A., MAS, Prim. Dr. Heinz Jünger, Mag. Dr. Bernhard Kadlec, Prim. Dr. Gerhard Koinig, Dir. Prim. Dr. Lukas Koppensteiner, Prim. Dr. Friedrich König MSc, MBA, Dipl. KH-BW Helmut Krenn, DI Franz Laback, Prim.Univ.Doz. Dr. Rudolf Kuzmits, Prim. Univ.Prof. Dr. Peter Lechner - Ärztliche & Kaufmännische Direktoren sowie Primare der NÖ Landeskliniken Holding

Prim. Univ.-Prof. DDr. Thomas Klestil - Gleichnamiger Sohn des ehemaligen Bundespräsidenten, Primar der Landeskliniken Holding. Das Komitee wirbt nur mit dem Namen, ohne Foto.

Präsident ÖkR Dr. Christian Konrad - Aufsichtsratspräsident der Raika (Sponsor der Komitees)

LGF GR MMag. Markus Krempl - Landesgeschäftsführer (der Jungen Volksparte - das verschweigt das Komitee aber)

Dipl. Päd. Fritz Lengauer - Geschäftsführer, seine Firma Concept Cpnsulting - hat als Referenzkunden fast ausschließlich landesnahe- und eigene Unternehmen.


Das ein nicht zu verachtender Teil der Unterstützer Jobs in Landeseigenen und -nahen Betrieben und Vereinen hat, oder dass deren Firmen & Initiativen großzügig mit Steuergeld gefördert werden, ist natürlich nur ein blöder Zufall. Auch die Häufung von Personen in leitenden Funktionen in zB der Landeskliniken Holding ergibts sich ja sicher nicht deshalb, weil die Holding der Arbeitgeber der Damen und Herren ist. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein Landesverräter!

Teil zwei folgt in Kürze.

Mittwoch, 23. Januar 2013

#wehrpflicht - und jetzt?

Krisen entstehen, wenn die Struktur eines Gesellschaftssystems weniger Möglichkeiten der Problemlösung zulässt, als zur Bestandserhaltung des Systems in Anspruch genommen werden müssten. (Jürgen Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973)
Die Volksbefragung über Wehrpflicht und Berufsheer ist mittlerweile seit drei Tagen vorbei, und sie brachte kein erfreuliche Ergebnis. 60% der WählerInnen wünschen den Fortbestand des bestehenden Systems, nur etwas mehr als ein Drittel möchte hingegen einen Wechsel auf ein Berufsheer und ein freiwilliges soziales Jahr.

Dieses Ergebnis ist schade, damit wurde eine große Chance auf einen Systemwechsel vertan. Aber es ist zu akzeptieren.

Dieses Ergebnis spiegelt aber auch die Debatte, die der Volksbefragung vorangegangen ist, wieder. Nämlich dann, wenn man sich die Gründe für das Votum der Wehrpflichtbefürworter ansieht:


74% der Wehrpflichtbefürworter stimmten also nicht gegen ein Berufsheer, sondern für die Erhaltung des Zivildienstes. Danach folgt der Katastrophenschutz, und erst an dritter Stelle das (falsche) Argument der Neutralität. Das sollte zu denken geben - der Zivildienst hat der Wehrpflicht quasi den Arsch gerettet.

Was bedeutet das jetzt für den Zivildienst? Der muss nun endlich dem Wehrdienst gleichgestellt werden  - und zwar nicht nur in der Dauer, sondern auch bei den Einschränkungen der Berufswahl. Weg damit!

Und dann muss endlich ein gesetzliches Faktum eingehalten werden, dass kurios anmutet: Zivildiener sind nämlich per Definition zu Hilfsdiensten verpflichtet, sollten also quasi "Systemerhalter" sein. In der Realität werden sie aber als vollwertige Kräfte zB im Rettungsdienst eingesetzt. Und das Rote Kreuz kann nicht ohne diese nicht zulässige Form der Helfer. Bei den Wehrpflichtigen ist das genau umgekehrt - sie werden zu 2/3 als Systemerhalter verwendet, obwohl sie professionelle Ausbildungen zur Landesverteidigung erhalten sollten...

Auch die Wehrpflicht gehört reformiert. Die ÖVP hat ihr streng geheimes Konzept bereits vorgestellt. Das sieht insgesamt 12 Punkte vor, die allesamt bereits umgesetzt worden sind. Das Konzept ist also keines, sondern nur eine Summierung mehrerer Punkte, die vermutlich irgendwer in aller Schnelle zusammengeschrieben hat. Generalmajor Kurt Raffetseder, Militärkommandant von Oberösterreich, sagt das auch in aller Offenheit dem ORF gegenüber - angesichts dieser Forderungen werde ihm "schwindlig". Sin Vorschlag zur Wehrersatzsteuer ist allerdings mit jenem zur Kirchensteuer zu vergleichen.


Last, but not Least: Was ist mit dem Zivildienst und dem Rettungsdienst?
Mein Beitrag über den Zivildienst und das Rote Kreuz hat einiges an Staub aufgewirbelt - womit ich niemals gerechnet hätte. knapp 20.000 Besuche, unzählige Kommentare aus ganz Österreich, viel Zuspruch von Sanitätern, dafür möchte ich einmal DANKE! sagen. 

Die Weiterentwicklung der Notfallmedizin muss auch endlich in den Rettungsdienstorganisationen ankommen - die Wiener Berufsrettung MA70 machts vor.  Ein Interview mit Christoph Redelsteiner, Paramedic und Autor des Standardbuches zur Notfallsanitäterausbildung zeigt, dass dieses Thema keinesfalls untergehen wird:


Lassen wir die ÖVP einmal drei Tage feiern und Bumsti drei Bier auf den Erfolg bestellen. Und dann muss man die Wanderprediger, die auf einmal linke Werte entdeckt haben, beim Wort nehmen. Wer mit Integration hausieren geht, muss den rechten Hetzern eine klare Absage erteilen. Wer „soziale Durchmischung“ beschwört, muss im Kindergarten, in Gesamtschulen und im Wohnbau damit anfangen. Wer den Zivildienst so wertvoll findet, soll ihn mit dem Wehrdienst gleichstellen: Gleiches Geld, gleiche Dauer. Wer jungen Männern kochen, kellnern und Wäsche zusammenlegen und ‘sich aufführen’ beibringen will, muss viel Geld für geschlechtssensible Arbeit mit Kindern und für aufgeklärte Sexualpädagogik bereitstellen. Wer Solidarität in Krisenzeiten beschwört, muss eine ordentliche Steuer für die reicher werdenden Reichen an den Start bringen.
Die Dreistigkeit, die die ÖVP die letzten Wochen an den Tag gelegt hat, setzt sich weiterhin fort - Zwang zur Landesverteidigung ist ok, aber ein verpflichtender Exkurs in die Stätten des Holocaustes ist schon wieder zu viel.

Die Diskussion über die Wehrpflicht, über den Zivildienst, über alle damit verbundenen Nebenerscheinungen wie Katastrophenschutz, Rettungsdienst, ... darf jetzt nicht vorbei sein. Denn sie steht - unabhängig vom Ausgang - gerade erst am Anfang. Dass sie nicht einschläft, das ist jetzt die Aufgabe all jener, die mit der Status quo nicht zufrieden sind.

Samstag, 19. Januar 2013

Wehrpflicht? Abschaffen!

Morgen ist es soweit. Berufsheer oder Wehrpflicht, darüber darf die Österreichische Bevölkerung abstimmen.

Die Zeit der Massenheere ist vorbei, in der Menschenmassen als Kanonenfutter bewusst in den Tod geschickt wurden. Zwei Drittel aller Rekruten halten ein System am Leben, das sich hauptsächlich selbst verwaltet. Es gibt kein einziges sinnvolles Argument für die Wehrpflicht mehr - nachzulesen hier, hier und hier.

Auch die Aufrufe der Sozial- und Rettungsdienste pro Wehrpflicht sind kritisch zu hinterfragen. Warum, habe ich hier anhand des Roten Kreuzes schon geschrieben.

Nicht wählen ist keine Alternative - wer schweigt, stimmt zu. Auch weiß wählen ist keine Willensbekundung. Leider stehen morgen nur ein Berufsheer oder die Wehrpflicht auf dem Stimmzettel, die Option "Heer abschaffen" steht nicht zur Auswahl.

Zahlreiche Menschen haben schon in unzähligen Blogposts erklärt, warum sie morgen gegen die Wehrpflicht stimmen. Die meisten sind mit der Ausführung der Abstimmung nicht einverstanden - werden aber trotzdem gegen die Wehrpflicht zu stimmen. Gute Erklärungen, warum, liefern unter anderen Niko Alm, Peter Kraus, Peter Pilz, Robert Misik, Gerald KrieghoferChristoph Chorherr, Josef Weidenholzer und noch viele andere.

Letzten Endes gibt es dann noch einen ganz pragmatischen Grund, morgen gegen die Wehrpflicht zu stimmen: Ein Ja zur Wehrpflicht zementiert den bestehenden Status Quo auf Jahrzehnte ein, jeglicher Reformversuch wird mit dem Hinweis auf die morgige Volksbefragung abgeschmettert werden.

Hingegen ist ein Votum gegen die Wehrpflicht ein klares Zeichen, das das bestehende System überholt ist. Man kann zu dem Modell von Darabos stehen wie man will - immerhin hat er eines vorgelegt. Und sogar die eigentlichen Nebenargumente, die zu Hauptakteuren dieser Diskussion geworden sind, sind berücksichtigt. Das Konzept für ein freiwilliges soziales Jahr, das Konzept für ein Berufsheer hat zwar noch einiges an Unschärfen, aber es ist ausbaufähig. Nach der Volksbefragung darf die Debatte natürlich nicht enden.

Nur ein Nein zur Wehrpflicht morgen sorgt dafür.

Donnerstag, 17. Januar 2013

Schneeschaufeln & Amtsmissbrauch

Fast könnte man meinen, die ÖVP hat in ihrem letzten Parteipräsidium kollektiv für Schneefall gebetet - und irgendwer hat ihre Gebete erhört. Denn den heutigen Schneefall nütze der Badener Bürgermeister, Kurt Staska, und forderte heute eine Assistenzeinsatz des Bundesheeres an, um seine Stadt von den Schneemassen zu befreien. Etwa 100 Rekruten, die eigentlich gerade eine Sanitätsausbildung absolvieren, wurden also mit Schneeschaufeln bewaffnet und beseitigten die weisse Pracht.

Die rechtliche Grundlage dafür liefert das Wehrgesetz:
§ 2. (1) Dem Bundesheer obliegen

 c) die Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges 
(5) Zur Heranziehung des Bundesheeres zu Assistenzeinsätzen sind alle Behörden und Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden innerhalb ihres jeweiligen Wirkungsbereiches berechtigt, sofern sie eine ihnen zukommende Aufgabe nach Abs. 1 lit. b oder c nur unter Mitwirkung des Bundesheeres erfüllen können.
Nun stellt sich aber folgende Frage: Warum mussten in Baden Grundwehrdiener ausrücken, während in Wiener Neustadt, Mödling und Wien, die ebenfalls mit Schnee zu kämpfen hatten, die örtlichen Kräfte der Lage Herr wurden? Ein Elementarereignis, außergewöhnlichen Umfanges sieht anders aus. Das gibt auch der Kommandant des Einsatzes, Rudolf Striedinger (übrigens selbst ein überzeugter Anhänger der Wehrpflicht) gegenüber der Wiener Zeitung zu:
An vergleichbare Schnee-Einsätze des Bundesheeres "in flachen Lagen" kann er sich nicht erinnern, nur an eine Schneeverwehung auf der Südautobahn 1993 und einen Einsatz von 500 Soldaten für die Wiener Öffis Anfang der 90er. In Niederösterreich rücke das Heer sonst eher im alpinen Raum aus, um Dächer abzuräumen.
Die Vermutung liegt nahe, dass hier der ÖVP-Bürgermister knapp vor der Volksbefragung am Sonntag noch auf ein paar medienwirksame Fotos gehofft hat.

Noch schamloser gingen zahlreiche andere ÖVP-Bürgermeister im ganzen Land vor. Sie schrieben amtliche Mitteilungen und Extraausgaben von Gemeindezeitungen, in denen sie zur Beibehaltung der Wehrpflicht aufriefen. Peter Pilz hat mittlerweile gegen sie Anzeige erstattet, der Verdacht liegt nahe, dass die Bürgermeister auf Gemeindekosten Wahlkampf für ihre Partei betrieben haben. Das liest sich dann so:


Die ÖVP kämpft nicht nur an allen Fronten, sondern auch ohne Skrupel für den Erhalt der Wehrpflicht. Sogar Amtsmissbrauch nimmt sie in Kauf - wer keine Argumente hat, greift halt zu anderen Mitteln.

Mittwoch, 16. Januar 2013

100 Gründe für die Wehrpflicht - und warum sie falsch sind (3)

Nun sind sie also komplett, jene 100 Gründe, die das Personenkomitee "Einsatz für Österreich" als Argument für die Wehrpflicht nennt.

Die ersten 75 Argumente habe sind ja bereits hier und hier entkräftet worden. Und dem geneigten Leser sei gesagt: es wird immer kurioser.

#76
Der Zivildienst baut Brücken zwischen Jungen und Älteren, armen und begüterten Menschen, Gesunden und Kranken!
Da ist es wieder, das Argument "Ohne Zivildienst keine Solidarität", oder auch in etwas abgewandelter Form "Der Zivildienst ist die Schule der Nation". Für soziale Gerechtigkeit braucht es vieles, zum Beispiel ein gerechtes Steuersystem, eine ausreichende Sozialmedizinische Betreuung, ein Bildungssystem, das nicht selektiert und integriert, und noch vieles mehr. Aber keinen Zivildienst.
#77  
Zivilisation bedeutet, sich gegenseitig zu helfen von Mensch zu Mensch, von Nation zu Nation.
Wir lernen: Ohne Wehrpflicht und ohne Zivildienst gibt es keine Zivilisation mehr.
#78
Ein bezahltes Sozialjahr schafft ein Zweiklassensystem an Helferinnen und Helfern und untergräbt damit das ehrenamtliche Engagement.
Jetzt gibt es sogar ein Dreiklassensystem: Ehrenamt, Hauptberufliche Mitarbeiter und Zwangsdiener. Wenn ehrenamtliches Engagement tatsächlich durch Lohnarbeit untergraben wird, müsste Lohnarbeit im sozialen Bereich also komplett abgeschafft werden.
#79
Junge Männer können beim Zivildienst nützliche Ausbildungen wie die Ausbildung zum Rettungssanitäter machen!
Der Zivildienst ist per Definition ein Hilfsdienst, und als solches nicht dafür geschaffen, dass junge Menschen Rettungssanitäter werden. Mehr dazu hier.
#80
Die Ehrenformationen bei Staatsempfängen wären ohne Grundwehrdiener in der derzeitigen Form nicht realisierbar.
Ernsthaft? Die Wehrpflicht muss bleiben, um Ehrenformationen bei Staatsempfängen stellen zu können. Kein Kommentar.
#81
Bei der Militärmusik sind 80 Prozent der Musiker Grundwehrdiener, die im Rahmen ihres Präsenzdienstes spielen.
Zwei Drittel aller Wehrpflichtigen sind Systemerhalter - also Köche, Fahrer oder eben auch bei der Militärmusik. Wie passt das mit der militärischen Landesverteidigung zusammen? Dieses Argument spricht sich explizit gegen die Wehrpflicht aus. Denn um Musiker auszubilden, braucht es keinen Zwangsdienst.
#82
Die Wehrpflicht leistet einen aktiven Beitrag zur Integration, da sich hier junge Österreicher mit Migrationshintergrund mit den Grundwerten ihrer neuen Heimat vertraut machen!
Warum gerade erst das Bundesheer Integration fördern soll, kann nur einen Grund haben: Das Bildungs- und Gesellschaftssystem hat 18 Jahre vorher versagt. Das ist allemal ein Grund für Reformen derselben, aber nicht für die Wehrpflicht.
#83
Seriöse Berechnungen zeigen, dass eine Berufsarmee den Steuerzahler doppelt so viel kosten würde wie unser jetziges System.
Eine Studie der Industriellenvereinigung, deren langjähriger Chef Veit Sorger auch Leiter des Personenkomitees "Einsatz für Österreich" ist, behauptet genau das Gegenteil - die Wehrpflicht ist teurer als ein Berufsheer.
#84
Die Wehrpflicht stellt die demokratische Verankerung unseres Heeres sicher!
Das ist nun ja bereits hinreichend widerlegt. Ob die Syrische Armee (und viele andere), die ebenfalls eine Wehrpflicht haben (in Syrien sind es 18 Monate) aktuell demokratisch im Volk verankert ist, darf jeder für sich selbst entscheiden.
#85
Eine Berufsarmee ist anfällig für politischen Missbrauch und kann zu einer latenten Gefahr für Österreich werden.
Anfällig ist nicht die Form der Armee, sondern die Macht die man ihr zugesteht und die politische Grundtendenz eines Landes. Wehrpflichtheere lassen sich genauso gegen das eigene Volk einsetzen wie Berufsheere.

Außerdem: Im Jahrgang 2010 waren gerade einmal 833 Grundwehrdiener im militärischen Einsatz. Österreich hat bereits jetzt de facto ein berufsheer mit Wehrpflichtkomponente. Und: Beim Berufsheer, das Verteidigungsminister Darabos vorgestellt hat, ist die Verankerung im Volk mit Miliz- und Zeitsoldaten vollends gesichert.
#86
In Deutschland haben ein Viertel der Bewerber die Ausbildung bei der Bundeswehr nach den ersten zwei Wochen abgebrochen!
Man darf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung glauben, wenn sie schreibt: "Unerwartet viele Freiwillige".
#87
Mehr als 20 Jahre lang haben Generationen von Grundwehrdienern unsere Grenzen geschützt!
Das stimmt zwar teilweise - aber zu welchem Preis? Die Zahl der Suizide junger Rekruten beim Grenzeinsatz ist erschreckend hoch, in 15 Jahren habe sich 19 Soldaten das Leben genommen. Auch der Sinn des Grenzeinsatzes ist zu hinterfragen. So wurden 2009 nur 9 Illegale Einwanderer aufgegriffen - das ergibt Kosten von 1,4 Millionen Euro pro Aufgriff.

Was die Rekruten an der Grenze sonst so treiben, darüber gibt folgendes Video vielleicht einen kleinen Aufschluss:


Und der Einsatz des Bundesheers im Jugoslawienkrieg zur Grenzsicherung? Da wurden zwar Grundwehrdiener eingesetzt, die waren aber gerade mal zwei Monate beim Heer. Im Fall des Falles wären sie als nicht ausser Kanonenfutter gewesen.
#88
Eine Berufsarmee bedeutet weniger Leistung für mehr Geld. Weniger Soldaten zu deutlich höheren Kosten ist ein schlechtes Angebot.
Das Kostenargument also wieder. Ich darf nochmals auf die Studie der Industriellenvereinigung hinweisen: Laut dieser Studie sei "aus ökonomischer Sicht ein Berufsheer einer Wehrpflichtarmee vorzuziehen, da sie volkswirtschaftlich kostengünstiger und ordnungspolitischer sinnvoller als eine Wehrpflichtarmee sein". Weiters: "Bei tiefergreifender Analyse fallen die Personalkosten in der Berufsarmee nicht höher aus als bei der Wehrpflicht." Ein Wehrpflichtheer zeichne sich durch "ineffizienten Einsatz von Arbeit und Kapital" aus.
#89Das Beispiel Belgien zeigt: Berufsarmeen führen zu einer Überalterung des Personals! 
Der EU-Militärexperte Joe Coelmont, selbst langjähriger Brigadegeneral des Belgischen Heeres, steht zum Berufsheer - nachzulesen hier.
#90
Berufsameen sind dazu da, um Kriege zu führen. Die USA haben die Wehrpflicht im Zuge des Vietnamkriegs abgeschafft.
Das ist schlichtweg falsch. Gerade die Abschaffung der Wehrpflicht hat zu einem rascheren Ende des Vietnamkriegs geführt. Detaillierte Informationen zur Wehrpflichtdebatte rund um den Vietnamkrieg können interessierte in Roland Försters Buch "Die Wehrpflicht" nachlesen.

#91
Eine Berufsarmee gefährdet den Wirtschaftsstandort im ländlichen Raum.
und
#92
Ohne Grundwehrdiener kommt es zu Kasernenschließungen.
Dadurch kommt es zu Ausfällen für Zulieferbetriebe!
Ich fasse diese zwei Argumente zusammen, weil sie sich inhaltlich nicht unterschieden - so wie viele andere der angeblichen 100 Argumente. Die Förderungen des ländlichen Raumes erfordern eine gesamtpolitische Strategie, keinesfalls aber die Wehrpflicht. Es sei dann, man mag argumentieren, dass Rekruten die Wirtshäuser beleben...
#93
Bei einem freiwilligen Sozialjahr ist immer die Frage, ob sich genügend Bewerber melden. Bleiben die Bewerber aus, bricht das System zusammen.
Beispiel Deutschland: Auf 35.000 ausgeschrieben Stellen für den Bundesfreiwilligendienst meldeten sich 48.000 Anwerber - und das bei einer Bezahlung von nur knapp 350 Euro. Mittlerweile sind eben jene 48.000 Vereinbarungen unterzeichnet. Um den Zustrom an ÖsterreicherInnen für das freiwillige soziale Jahr braucht man sich also keine Sorgen zu machen.
#94
Großbritannien hat eine Berufsarmee und muss bereits vor Gefängnissen und in Pubs rekrutieren, weil sich nicht genügend Freiwillige melden!
Mit ausreichend guter Bezahlung und einer beruflichen Perspektive lassen sich auch genügend Berufssoldaten finden.
#95Während in Deutschland früher 90.000 Zivildiener tätig waren, sieht der Bundesfreiwilligendienst gerade noch 35.000 Stellen vor.
Stimmt nicht. Stand August 2010 leiteten etwa 50.000 junge Männer Zivildienst in Deutschland. Aktuell sind 48.000 "Bufdis"im Einsatz.

#96
1.386 Euro brutto für einen sozialen Dienst sind Lohndumping im Sozialbereich!
Wie jetzt? 1.386 Euro sind Lohndumping, aber 301 Euro - die derzeitige Grundvergütung für Zivildiener - sind Bürgerpflicht und somit gerechtfertigt?
#97
Freiwillige können jederzeit den Dienst quittieren, wenn sie keine Lust mehr haben. Den Einrichtungen droht das Planungschaos!
Vollkommen richtig! Weg mit der Selbstbestimmung, her mit dem Zwangsdienst - damit die Organisationen Planungssicherheit haben. Wir schreiben übrigens gerade das Jahr 2013 - nicht 1750.
#98
Berufsarmeen rekrutieren sich aus sozialen und gesellschaftlichen Randgruppen.
Dieser Argumentation zufolge besteht das Bundesheer bereits jetzt aus eben jenen Randgruppen - arbeiten doch aktuell (Stand 2010) 16.500 hauptberufliche Soldaten dort.
#99
Unser Sozialsystem ist nicht konjunkturabhängig.
Bezahlte Helfer schon!
Ein letztes Mal sei auf die deutschen Bufdis verwiesen.
#100
Viele europäische Berufsarmeen mussten die Anforderungen bei den Aufnahmetests heruntersetzen, um Bewerber zu finden!
Als finales Argument hätte ich mir jetzt einen richtigen Kracher erwartet, beispielsweise das Konzept der ÖVP zur Reform der Wehrpflicht und des Zivildienstes. Da das aber nach wie vor nicht existiert, bleibt wohl nichts anderes über, als die alte Leier der fehlende Soldaten zu bemühen. In den vergangenen 99 Argumenten wurde die allerdings hinreichen widerlegt, so dass ich mir diese Wiederholung jetzt spare.

Fazit: Die genannten 100 Argumente schmelzen bei näherer Betrachtung auf knapp 20 zusammen, die mantra-artig immer und immer wieder wiederholt werden. An ihrer inhaltlichen Falschheit ändert sich dadurch aber nichts. Dass ein Großteil der Argumente den Zivildienst oder den Katastrophenschutz betrifft, sollte eigentlich das beste Argument für die Abschaffung der Wehrpflicht sein - den für die lassen sich sogar vom Personenkomitee kein einziges, sinnvolles und einer genaueren Überprüfung standhaltendes Argument finden.

Sonntag, 13. Januar 2013

Das Rote Kreuz und der Zivildienst

In genau einer Woche wird die österreichische Bevölkerung zur Urne gebeten, sie soll über die Zukunft des Bundesheeres abstimmen - entweder für die Einführung eines Berufsheeres und eines freiwilligen sozialen Jahres oder die Beibehaltung der Wehrpflicht und des Zivildienstes.

Da den Wehrpflichtbefürwortern anscheinend die Argumente für die Zwangsverpflichtung junger Männer zum Bundesheer ausgegangen ist, stürzen sie sich jetzt mit Eifer auf den Zivildienst. Dieser sichere das Sozialsystem, sei die soziale Schule der Nation, und überhaupt, sei der Zivildienst eine absolute Erfolgsgeschichte. Das genau diejenigen, die den Zivildienst als Errungenschaft ansehen, lange Jahre alles versucht haben, genau das zu verhindern - mittels Gewissensprüfung, öffentlicher Diskriminierung in Worten (Drückeberger, langhaarige Wehrdienstverweigerer), und der nach wie vor strukturellen Schlechterstellung gegenüber Wehrdienstleistenden), ist an Skurrilität nicht mehr zu überbieten.

Aber warum engagiert sich das Rote Kreuz so massiv in der Debatte? Als vermeintlich neutrale Organisation könnte dieser Diskurs doch egal sein - denn wie auch immer der ausgeht, der Rote Kreuz muss das Ergebnis ohnehin Umsetzen.

Worum geht es dem Roten Kreuz also in Wirklichkeit? Um das zu erläutern, muss man etwas weiter ausholen.

Als sich um die Jahrtausendwende abzeichnete, dass ein neues Sanitätergesetz im Werden ist, war in weiten Teilen des RK Feuer am Dach. Sahen die Entwürfe doch weitgehende Kompetenzen und Befugnisse für Sanitäter vor, natürlich einhergehend mit einer stark verlängerten und verbesserten Ausbildung. So sprach sich eine Expertise, auf der der spätere erste Gesetzesentwurf basiert, auf einer Ausbildung für Rettungssanitäter von 560 Stunden Ausbildung + 150 Einsätze als Praxis aus, für einen diplomierten Rettungshelfer war eine dreijährige Ausbildung vorgesehen. Die Aufgabe des Rettungssanitäters wäre gewesen, qualifizierte Erste Hilfe bis zum Eintreffen einer höher qualifizierten Person zu leisten. In einem späteren, ersten Ministrialentwurf ist immer noch vom 1600 Stunden bis zur Maximalqualifikation zu lesen.

International ist eine hochwertige Ausbildung bereits Gang und Gebe:

Deutschland: Rettungsassistent (2 Jahre Ausbildung)
Schweiz: Diplomierter Rettungssanitäter (3 Jahre Ausbildung)
USA: EMT-Paramedic (Ausbildung regional unterschiedlich, bis zu 4 Jahre)
Slowakei, Tschechien, Kanada, Australien, UK, all diese Länder setzen auf monate- oder jahrelange Ausbildung und hauptberufliche Mitarbeiter.

Das Rote Kreuz, das seit jeher auf Freiwilligkeit basiert, fürchtete um sein Personal und setzte einige Hebel in Gang, um das geplante Gesetz in Richtung weniger Ausbildung zu verändern. Mit Erfolg:

Das aktuelle Sanitätergesetz sieht für Rettungssanitäter eine Ausbildung von 100 Stunden Theorie und 160 Stunden Praxis vor. Dass das Rote Kreuz eine höhere Ausbildung für nicht akzeptabel hielt, kann man in einer Diplomarbeit von Richard Weisser mit dem Titel "Das Österreichische Sanitätergesetz 2002" nachlesen. Dort gibt ein Vertreter des RK unverhohlen zu:
Auf meine Frage zu früheren Entwürfen, die dann wieder zurückgezogen wurden, berichtete Mag. Lang, MBA über einen Entwurf von 1998 unter Bundesministerin Hostasch, der die Vollausbildung für Hauptamtliche forderte. Dieser war dann ziemlich lange in Diskussion und sowohl von den Definitionen her problematisch, als auch vor allem vom Umfang der Ausbildung für das ÖRK völlig untragbar. Dieser Entwurf war für das ÖRK „ein Unding“.

Letztlich landete dieser „Gott sei Dank“ auf Eis, erklärte Mag. Lang, MBA. Daraufhin beschloss das ÖRK, einen Entwurf nach den eigenen Vorstellungen zu erstellen. Heraus kam dann ein völlig anderer Entwurf mit völlig anderen Ansätzen, der mit dem „Hostasch Entwurf“ nichts mehr zu tun hatte. Zwar ohne Anrechungs-, Übergangsbestimmungen, EUBestimmungen und Ähnlichem, aber wirklich nur so, wie der Beruf geregelt sein soll. Der alte Entwurf mit 2.000 oder 3.000 Stunden Ausbildung tauchte nie mehr auf. Mag. Lang, MBA meinte, das Erfreuliche ist, der Kern des Gesetzes blieb eigentlich ident mit dem, was das ÖRK mit dessen Ausbildungsreferenten/innen vorher erarbeitet hatte.
Schon damals setzte das Rote Kreuz also auf Quantität, statt Qualität. Nur so konnte man Marktführer bleiben, nur so floss das Geld. Und genau das ist auch der Hintergrund der Äußerungen zum Zivildienst. Ohne Zivildiener müsste man mehr hauptberufliche Mitarbeiter einstellen, und diesen mehr zahlen als das derzeitige Mindestgehalt. Denn so ganz nebenbei ist jeder Zivildiener ein Preisdrücker für alle hauptberuflich im Sozialbereich arbeitende Menschen. 


Sehen wir uns als nächstes die rechtlichen Grundlagen des Zivildienstes genauer an.

Wesentlich ist hier folgender Passus:
Grundsätzlich können Zivildienstleistende nur zu Hilfsdiensten unter entsprechender Anleitung, Beaufsichtigung und Verantwortung eines Vorgesetzten, nicht aber zu leitenden, eigenverantwortlichen, eine bestimmte Fachausbildung und Erfahrung voraussetzenden Dienstleistungen herangezogen werden.
Nur unter dieser Voraussetzung dürfen Einrichtungen um Zivildiener ansuchen. Beim Roten Kreuz bekommen Zivis aber eine Ausbildung zum Rettungssanitäter - die ist auch Voraussetzung, um eigenverantwortliche Krankentransporte durchzuführen. Spätestens hier sollte klar sein, dass das Rote Kreuz gegen die Zivildienstverordnungen verstößt, tagtäglich. Es ist Gang und Gebe, dass zwei Zivildiener einen Rettungswagen besetzen - und damit einen rechtlichen Graubereich betreten, der ihnen oftmals nicht bewusst ist.
Doch selbst als Rettungssanitäter haben Zivis nichts an verunfallten oder erkrankten Patienten zu suchen - denn laut SanG liegt die Betreuung von Notfallpatienten eindeutig und ganz klar in der Hand von Notfallsanitätern.

Dass das Rote Kreuz vom Zivildienst nur profitiert hat, zeigt auch eine andere Episode: Die Zivildienstserviceagentur war von 202 bis 2005 eine Firma im Eigentum des Roten Kreuzes, die sich um die Zuweisung der Zivildiener zu den Einrichtungen kümmert. Erst mittels Urteil des Verfassungsgerichtshofes wurde die Serviceagentur in das Innenministerium eingegliedert. Eine andere, weit verbreitete Praxis konnte ebenfalls nur der Verfassungsgerichtshof abschaffen: Die Vorenthaltung eines adäquaten Essensgeldes.

Ausgerechnet der Zivildienst muss als Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht herhalten. Das Rote Kreuz kampagnisiert massiv gegen die Abschaffung der Wehrpflicht - mit teilweise derselben (falschen & wissentlich gelogenen!) Aussage wie Mikl-Leitner, nämlich dass ohne Zivildienst das Sozialwesen zusammenbricht.

All denjenigen, die die Wehrpflicht aufrecht erhalten möchten, damit der Zivildienst weiterbesteht, all jene möchte ich fragen: Gerade weil der Zivildienst ja anscheinend so hoch geschätzt wird,

- dauert er immer noch drei Monate länger als der Wehrdienst?

- ist er mit knapp 300 Euro Grundbezug katastrophal bezahlt?

- kann man seinen Zivildienst in einer Strafvollzugsanstalt ableisten, aber danach nicht so ohne weiteres zur Justizwache gehen?

- haben Zivis bis zu 48 Wochenstunden Dienst, davon teilweise zehn Stunden am Stück ohne Mittagspause und dergleichen?

- stehen Zivildienstleistende in einer rechtlichen Grauzone, weil sie laut Zivildienstgesetz keine eigenverantwortlichen Tätigkeiten am Patienten übernehmen dürfen - dazu aber tagtäglich angehalten werden?

- ist die Frage der Verpflegung immer noch nicht eindeutig geregelt, sondern durch mehrere schwammige Verordnungspassagen Auslegungssache?

- werden Zivildiener in der Berufswahl eklatant schlecht gestellt? ( So kann man zB in der JVA Josefstadt den Zivildienst absolvieren, aber als Zivi nicht so ohne weiteres zur Justizwache gehen).


So sieht der Dienstplan eines Zivildieners beim Roten Kreuz aus. 10 Stunden tägliche Arbeitszeit, 48 Stunden in der Woche. Zu meiner Zeit als Zivildiener waren 50 Stunden die Woche gang und gebe, inklusive Überstunden, die sich ergaben, weil gerade Transporte zu fahren waren. Erlaubt ist das.

Übrigens: Wer länger als 18 Tage krank ist, wird automatisch aus dem Zivildienst entlassen, und muss nach Beendigung des Krankenstandes seinen Dienst fortsetzen. Sehr sozial, oder?

Und so passt dann am Schluss auch alles zusammen: Der Präsident des Roten Kreuzes, ehemaliger ÖVP Landesrat in Vorarlberg, der ganz nebenbei noch Leiter der Zivildienstreformkommission war (die übrigens nichts wesentliches geändert hat und sich vor wichtigen Reformen geduckt hat), spricht sich ganz klar für die Wehrpflicht aus, kontert die wissentlichen Falschaussagen ("Ohne Zivildienst kommt die Rettung 15 Minuten später") nicht, im Wissen, dass seine Organisation sonst vielleicht auch faire Löhne zahlen müsste, und schürt mit seiner Propaganda Angst bei denjenigen, die zu den Kunden des Roten Kreuzes gehören - und treffen dort natürlich auf offenen Ohren.

Die Politik freut sich über billige Arbeitskräfte, die das Versagen in der Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte kaschieren und dadurch auch die eigenen Fehler. Und leiden muss darunter der Zivildiener. Dass es grotesk ist, die Wehrpflicht mit ihrem Nebenprodukt, dem Zivildienst zu verteidigen, fällt da fast schon nicht mehr ins Gewicht. Die Rolle des Roten Kreuzes in der Debatte beschreibt die Zeit sehr treffend:
Meist ist auch ein Vertreter des Roten Kreuzes nicht weit, der sich mit sorgenvoller Miene dem Schauermärchen anschließt. Ausgerechnet ein Vertreter jener Organisation, die unter dem Eindruck des blutigen Gemetzels von Solferino (nach der österreichischen Niederlage bedeckten im Juni 1859 insgesamt 30.000 Tote und Verwundete das lombardische Schlachtfeld) ins Leben gerufen wurde, tritt nun dafür ein, dass Kanonenfutter ausgehoben wird, damit im Gegenzug sein Verein weiterhin auf Arbeitskräfte zum Billigtarif zurückgreifen kann. Irgendwie muss sich das der Humanist Henry Dunant anders vorgestellt haben, als er seine Hilfsgemeinschaft gründete.
Ich bin mittlerweile seit 2007 beim Roten Kreuz, zuerst als Zivildiener, dann als Freiwilliger. Ich bin Notfallsanitäter mit NKV, das ist der höchste Ausbildungsstand, den man in Niederösterreich erreichen kann. Ich habe seit 2010 mehr als 500 Einsätze mit dem Notarztwagen miterlebt, habe Polytraumen genauso versorgt wie Herzinfarkte und psychosoziale Notfälle, in Wohnungen, Altersheimen, Schulen, Büros, auf Festivals und auf offener Straße. Ich habe geholfen Kinder auf die Welt zu bringen und habe auch welche reanimiert, habe unzählige Stunden damit verbracht, Dienste zu planen - solche, die vor Freiwilligen übergegangen sind, und solche, bei denen kurz vor Dienstbeginn unklar war, ob es einen Fahrer für den NAW gibt. Ich habe unzählige Stunden in Fortbildungen, auf Vorträgen und Kongressen verbracht. ich glaube also, ich weiß relativ gut, wovon ich schreibe. Und für mich ist eines klar: Ein Nein zur Wehrpflicht und dem mit ihr verbundenem Zivildienst ist auch ein Schritt in Richtung eines hochprofessionellen Rettungsdienstes in Österreich.