Freitag, 21. September 2012

Habt Acht!

Am 20. Jänner entscheidet die Österreichische Bevölkerung über die Zukunft des Wehrdienstes. Vorausgegangen ist dieser Volksbefragung ein Tauziehen in der Regierung, ausgelöst von der Kronen Zeitung und Michael Häupl, der im Finish des Wahlkampfes zur Wien-Wahl noch einen Sager bringen wollte.

Paradoxerweise sind die aktuellen Positionen von SPÖ und ÖVP gegensätzlich zu denen, die sie immer propagiert haben. Die SPÖ, die Jahrzehnte lang mit dem Verweis auf den Februaraufstand 1934, wo das Bundesheer auf Gemeindebauten schoss, ein Berufsheer verteufelte, spricht sich plötzlich für ebendieses aus. Und die ÖVP, immer schon ein Verfechter eines Heeresmodelles mit ausschließlich hauptberuflichen Soldaten, hat sich zur Verteidigung der allgemeinen Wehrpflicht entschlossen.

Als Argument dient der ÖVP auch der Zivildienst, dessen Ende mit der Abschaffung der Wehrpflicht einher geht. Kurioserweise haben christlich-konservative jahrelang gegen die "Drückeberger" gewettert, die den Dienst an der Waffe verweigern. Im öffentlichen Diskurs setzt die ÖVP vor allem auf Angst und Panikmache.

Eine kurze Geschichte der Wehrpflicht

Die allgemeine Wehrpflicht wurde nach Ende des zweiten Weltkrieges und der Besatzung Österreichs 1955 eingeführt, die damalige Dauer betrug 9 Monate (inklusive zwei Wochen Urlaub). Als 1975 der Zivildienst als Wehrersatzdienst geschaffen wird, melden sich immer mehr junge Männer zu diesem, sodass der Zivildienst sukzessive auf 12 Monate verlängert wird. Außerdem musste bis 1992 eine so genannte "Gewissensprüfung" vor einer Kommission abgelegt werden. Seit 2006 dauert der Wehrdienst sechs Monate, der Zivildienst neun. Schon damals sollte der Zivildienst eigentlich eher die Ausnahme als die Regel sein - dass er gerade jetzt als Argument gegen die Abschaffung der Wehrpflicht verwendet wird, ist mehr als skurril.

Die Wehrpflicht heute

Auszug aus dem Soldatenhandbuch 2011:
Der Zweck des Grundwehrdienstes ist
- die Ausbildung für den Einsatz
- die Einsatzbereitschaft der Präsenzkräfte
- die qualitativ und zahlenmäßige Aufstellung der Einsatzverbände (damit wird eine Mobilmachung erst möglich)
- die Gewinnung des Kadernachwuchses (Berufs- und Milizsoldat)
So wurden die 24.000 Rekruten, die 2010 eingerückt waren, verwendet:

5500 als Kraftfahrer
2600 im Wachdienst
2100 als Kellner in Offiziers- und Unteroffizierscasinos
jeweils 800 Kompanieschreiber und Mechaniker
300 Militärmusiker
unzählige Elektriker, Maurer, Maler, Tischler, ...

hingegen wurden ausgebildet:

1350 Jäger
900 Pioniere
280 Panzerfahrer
80 Scharfschützen

Man sieht also, dass ein Großteil der Rekruten hauptsächlich Systemerhalter sind, und nichts, aber auch gar nichts mit der Aufrechterhaltung der Landesverteidigung zu tun haben.


Bis vor kurzen waren sie auch noch an der Grenze eingesetzt, mit einer erschreckend hohen Rate von Suiziden. Der Standard hat eine Grenzpatroullie einen Tag lang begleitet und kommt zu dem Schluss: 
"Grübelnd, ob nur deshalb heute rund um Loipersbach nichts passiert ist, weil das Bundesheer seinen Dienst tut oder ob es sich um einen herkömmlichen, ereignislosen, burgenländischen Tag handelte."

Wie trist die Situation in Österreichs Kasernen ist, hat sich die Presse angesehen:
Ein potemkinscher Auftritt, der skurril wirkt, weil jeder ausländische Staatsgast, jeder neu anzugelobende Botschafter über die militärische Impotenz der Gastgeber und ihre totale Planlosigkeit längst informiert ist.
Wie sieht die Situation in Europa aus?

In Europa halten außer Österreich nur noch Finnland, Estand, Dänemark, Griechenland, Zypern und die Schweiz an der Wehrpflicht fest. Alle anderen länder haben diese abgeschafft, jüngstes Beispiel ist hier Deutschland, wo die Wehrpflicht im Juli 2011 ausgesetzt wurde.



Auch die USA, Kanada oder Australien verzichten auf ein Zwangssystem.

Aber wer schützt dann die Bevölkerung bei Hochwasser und Lawinen?

Nur 6,3% aller Präsenzdiener werden im Katastrophenschutz eingesetzt, knapp 90% aller Katastrophen können von der Feuerwehr ohne militärische Hilfe bewältigt werden. Das zeigt ganz klar, dass der Katastrophenschutz nicht in den Händen des Bundesheeres liegt. Die freiwilligen Feuerwehren können die um einiges bessser, sind schneller vor Ort und haben in ganz Niederösterreich mehr als 250.000 aktive Mitglieder.

Ein kurzer Blick nach Deutschland: Dort ist das Technische Hilfswerk für den Zivil- und Katastrophenschutz zuständig, die Organisation ist direkt dem Innenministerium unterstellt. Das THW ist mit dementsprechendem Gerät ausgestattet, um auch ohne Bundeswehr größere Einsätze zu managen. Auch interessant: Die deutsche Bundeswehr darf (bis auf wenige, ganz streng geregelte Sonderfälle) nicht im Inneren tätig werden.

An dieser Stelle sollen ein paar Mythen über den Zivildienst näher beleuchtet werden:

Immer wieder wird das Argument vorgebracht, ohne Zivildiener warte man auf die Rettung 15 Minuten mehr (Auch Mikl-Leitner sagt das wieder besseren Wissens). Dazu folgendes:

Es gibt in Österreich so genannte Hilfsfristen, die besagen, wie lange ein Rettungsmittel (oder Notarzt) bis zum Eintreffen am Notfallort brauchen darf. Zivildiener dürfen nur Hilfsdienste im Rettungs- und Krankentransport verrichten, die oftmals zum Einsatz kommenden "Zivi-Bomber" dürften in dieser Form eigentlich gar nicht unterwegs sein. Außerdem bewerkstelligen Zivildiener nur Krankentransporte und Ambulanzfahrten, die Leitstelle darf einen dementsprechendes Fahrzeug gar nicht zu Notfällen entsenden. Der Rettungsdienst wird mit Hauptberuflichen und Freiwilligen Mitarbeitern besetzt. Ob die Freiwilligkeit die heutzutage geforderte Professionalität überhaupt leisten kann, darf allerdings bezweifelt bezweifelt werden. Die Wiener Rettung, Vorreiter in Sachen Notfallmedizin in Österreich, setzt daher ausschließlich auf Mitarbeiter mit Festanstellung.

Was der Zivildienst aber sicherlich ist: ein Lohndrücker. Junge Männer, die um einen Bruchteil des Geldes einer dementsprechend ausgebildeten Kraft Leistungen übernehmen. Das wiederum nützt den Trägerorganisationen, die daran verdienen. Ohne Zivildiener würde das Rote Kreuz also etwas andere Bilanzen haben. Das Professionalität Geld kostet, ist klar, und die dementsprechenden Summen müssen auch in die Hand genommen werden. Und dann ist es auch falsch, wenn Fredy Mayer, ehemaliger VP-Politiker und Präsident der Roten Kreuzes sagt:
„Da geht es darum, Leben zu retten“
Werner Kerschbaumer, Generalsekretär des Roten Kreuzes, streut in einem Standard-Interview Bedenken:
Wenn Dienste für das Gemeinwohl zunehmend über Lohnarbeit geleistet würden, könnte dies die Motivation der Freiwilligen untergraben. 
Dieser Satz zeigt ein gefährliches Denken, impliziert Kerschbaumer doch damit, dass nur Freiwilligkeit ein Sozialsystem auf hohem Niveau garantiert. Das ist blanker Unsinn. Ein gutes Sozialsystem kann nur ein staatliches sein. Nur das garantiert eine soziale Absicherung ohne Profitstreben. Dass der Rettungsdienst in Österreich vom Roten Kreuz betrieben wird, ist (mit wenigen Ausnahmen) eine weltweite Einzelheit. Gefährlich ist es, ureigenste Aufgaben des Staates, nämlich die Absicherung seiner Bürger, von Vereinen machen zu lassen.

Das gilt nicht nur für den Rettungsdienst, sondern auch für Pflegeleistungen, Altenbetreuung, Asylbetreuung, ...

Kleines Detail am Rande: Der Chef der roten Rettungsorganisation, Franz Schnabl, unterstütz das Personenkomitee "Unser Heer", das für die Abschaffung der Wehrpflicht wirbt.

Als Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht also den Zivildienst zu nennen, ist lächerlich, auch in der schon oben beschriebenen Hinsicht der Benachteiligung der Zivildiener.

Eine Dimension der Debatte rund um die Abschaffung der Wehrpflicht ist meiner Meinung nach bisher nicht wirklich durchleuchtet worden: Wir leben mittlerweile in einer Europäischen Union, die sich (hoffentlich) immer mehr nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch als Verbund versteht, und den Einfluss der Nationalsaaten irgendwann hinter sich lassen wird.

Gerade der Nationalismus war es, der Europa immer wieder an den Rand des Abgrundes - und manchmal auch darüber hinaus - bewegt hat. Die (nicht vorhandene) militärische Verteidigungsdoktrin Österreichs wird über kurz oder lang obsolet werden, weil ein geeintes Europa bei näherer Betrachtung als logisch erscheint. Es macht wenig Sinn, in einer Union, die die GASP, die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik als einen Ihrer zentralen Verträge bewertet, sein eigenes Süppchen zu Kochen. Frei nach dem Motto "Austria is a too small country, to do good Verteidigunspolitik" rückt hier die Zusammenarbeit immer mehr in den Vordergrund. Am 20. Jänner wird zwar in erster Linie über den Wehrdienst entschieden, aber es ist auch eine kleine Richtungsentscheidung zur Zukunft der europäischen Integrität.